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1995: DIE NÄCHSTE SCHALLMAUER FÄLLT

Anfang 1995 setzten endlich auch die Schweden für die Testpartien ihrer international anerkannten Elo-Liste Pentium-90-Rechner ein. Auf diesen Rechnern brach die Schallmauer von 2400 Elo-Punkten ein. Der Genius 3, der sich wie die meisten Programmen von Richard Lang sofort an die Spitze der Liste gesetzt hatte, kam auf Anhieb auf eine Wertungszahl von ca. 2430 Elo!

Eine andere Technik brachte ebenfalls einen Vorsprung beim Spielen von Testpartien: Der Österreicher und Nimzo-Autor Dr. Chrilly Donninger entwickelte einen Autoplayer mit dessen Hilfe die Spitzenprogramme nun endlich automatisch gegeneinander spielen konnten. Eine unglaubliche Arbeitserleichterung, gerade für die Schweden.

Ende Mai 1995 gab es dann auch wieder eine Computer-Weltmeisterschaft, an der diesmal auch Deep Blue, der Nachfolger von Deep Thought teilnahm. Doch wie schon 1993 in Madrid konnte wiederum ein “Kleiner” den “Großen” die Schau stehlen. Das Programm Fritz 3, das pikanterweise auf dem schwächsten Rechner im Feld lief (ein Pentium 90 MHz), gewann sowohl gegen Deep Blue als auch gegen Star Socrates, einen weiteren Großrechner. Somit kann Autor Frans Morsch für sich den Titel des Schachcomputer-Weltmeisters in Anspruch nehmen!

(47) Deep Blue - Fritz 3 [B33]

[Computer-WM Hongkong, 1995]

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 6.Sdb5 d6 7.Lg5 a6 8.Sa3 b5 9.Lxf6 gxf6 10.Sd5 f5 11.Ld3 Le6 12.Dh5 f4 13.0–0? Ein grober Fehler von Deep Blue, der diesen Zug bereits errechnen musste 

 

13...Tg8! Auch Fritz musste hier bereits rechnen und findet gleich einen Superzug 14.Kh1 Tg6 15.Dd1 Tc8 16.c4 Dh4 17.g3 Dh3 18.Dd2 f3 19.Tg1 Th6 20.Dxh6 Dxh6 21.cxb5 Lxd5 22.exd5 Sb4 23.Lf5 Tc5 24.bxa6 Sxa6 25.Sc2 Dd2 26.Se1 Txd5 27.Sxf3 Dxf2 28.Le4 Ta5 29.Tg2 De3 30.Te1 Dh6 31.Lc6+ Kd8 32.a3 f5 33.Tc2 Tc5 34.Txc5 Sxc5 35.Tf1 Le7 36.a4 f4 37.gxf4 Dxf4 38.Tg1 Sxa4 39.b4 Dxb4 mit Aufgabe 0–1

Trotz dieses Debakels ist man sich bei IBM sicher, noch in diesem Jahr eine Maschine zu haben, die fast 1000mal schneller rechnet und hat Garry Kasparov zu einem Match herausgefordert.

 

33: 1996 UND SPÄTER: COMPUTER ÜBERTRUMPFEN GROßMEISTER:

Wohin die Entwicklung beim Computerschach geht, ist schwer vorherzusagen, aber es scheint so, daß Spitzenschach in Zukunft verstärkt auf dem PC stattfinden wird. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Es bedeutet einen wesentlich kleineren Aufwand, ein neues Programm zu entwickeln, als wenn auch eine neue Hardware gebaut werden muß. Doch es wird immer einige Leute geben, die lieber mit echten Schachfiguren spielen, so wird auch der traditionelle Schachcomputer mit Spitzenschachprogramm nicht aussterben, aber die Spitzengeräte werden aufgrund schrumpfender Fertigungszahlen wohl auch nicht wesentlich billiger werden.

Auf alle Fälle werden die Programme immer stärker werden, schon aufgrund der steigenden Rechenleistungen ist ein Stagnation in der Spielstärke nicht abzusehen. Die Spitzenschachcomputer haben schon jetzt (fast) IM-Stärke. Echte Großmeisterstärke verpackt in einem taschenrechnergroßen Gehäuse wird vielleicht noch sechs oder sieben Jahre dauern, dürfte aber gleichfalls noch nicht das Ende der Entwicklung darstellen.

Doch eine Befürchtung wird keinesfalls eintreffen: Das “Menschenschach” wird durch die Entwicklung des Computerschachs nicht sehr beeinträchtigt werden! Heute nimmt es jeder Mensch als selbstverständlich hin, daß ein Taschenrechner wesentlich schneller rechnen kann, als der beste Mathematiker. Auch die bislang besten Schachspieler der Erde werden akzeptieren (müssen), daß Schach ein Spiel ist, das errechnet werden kann und daß ein Computer mit genügend großem Aufwand dieses einfach besser macht. Es wird Herausforderungen des Computerweltmeisters geben und auch die Spielstärke der Menschen wird mit Computerunterstützung wachsen. Doch Computer werden voraussichtlich nicht an menschlichen Kandidatenturnieren teilnehmen, es soll ja auch weiterhin einen menschlichen Weltmeister geben, der dann auch weiterhin zur Recht den Titel des besten menschlichen Schachspielers tragen darf.

Selbst wenn Computer eines Tages die alte Frage beantworten können, ob die Grundstellung des Schachspiels nun für Weiß zwingend gewonnen oder verloren ist, oder ob vielleicht das Remis unausweichlich ist, wird es für die Menschen keine großen Auswirkungen haben, denn eine solche perfekte Strategie dürfte außerhalb der menschlichen Aufnahmefähigkeit stehen.

So gesehen wird also das Computerschach auf viele Jahre hinaus noch interessant bleiben, meint...

 

Karsten Bauermeister


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