Seite 13 Prinzipiell
ist dieses Prinzip auf jede andere Stellung auch übertragbar: Denn auch
positionelle Vorteile müssen sich irgendwann in materiellen umwandeln.
Wen also ein “dummer” Computer viele Halbzüge tief rechnet und auf
diese Weise an den positionell schlechten Züge vorbeischifft, so wird
er eine genauso hohe Spielstärke erreichen, wie ein “geniales”
Programm, das die schlechten Züge aus anderen Gesichtspunkten gar nicht
erst erwägt! Eigentlich
logisch, stößt diese Erkenntnis jedoch vielen Schach-Anhängern auf,
weil sie im Schach eine künstlerische und nur der menschlichen
Phantasie zugängliche Tätigkeit sehen. Die Aussicht, daß ein Computer
allein durch das Berechnen von vielen Millionen Varianten bis zur einer
gewissen Tiefe, aber mit dem Schachwissen eines Anfängers einmal
Weltmeisterstärke erreicht, paßt einfach nicht in das Weltbild dieser
“Schach-Romantiker”. Konkret
ergab sich aus Thompsons Untersuchungen, daß eine Rechentiefe von etwa
10 Halbzügen bei Brute-Force-Programmen notwendig ist, um Großmeisterstärke
(ungefähr 2500 ELO) )zu erreichen, zwei weitere Halbzüge sollte also für
Weltmeisterstärke genügen! Wenn man allerdings bedenkt, daß für
einen Halbzug Rechentiefe in gleicher Zeit eine 6-10x schnellere
Rechnerleistung erforderlich ist, kann man ermessen, welche
Schwierigkeiten vor der praktischen Überprüfung noch überwunden
werden müssen! Bis
heute bestreiten allerdings nicht wenige, daß der Zusammenhang zwischen
Rechentiefe und Spielstärke wirklich linear ist. Doch neuere
Untersuchungen mit dem Schachrechner Deep Thought scheinen Thompsons
Ergebnisse zu bestätigen, wobei allerdings in Rechnung zu stellen ist,
daß auch die Programme selbst deutliche Fortschritte machten. Dazu
kommen wir jedoch später noch, zunächst zurück zum ACM-Turnier 1978:
Auf Platz 5 lief ein Programm ein, das später ebenfalls noch Karriere
machen sollte: Sargon II. Bei Sargon handelte es sich um ein
Mikrocomputerprogramm, dessen 2,5 Punkte aus vier Partien eine mittlere
Sensation darstellten! Andere
Mikrocomputer machten unterdessen anderweitig Furore: Die käuflichen
Schachcomputer erwiesen sich als Verkaufsschlager, so daß auch andere
Firmen sich ein Stück von dem lukrativen Kuchen abschneiden wollten!
Als sehr dekorativ und verhältnismäßig spielstark, aber auch recht
teuer erwies sich zum Beispiel Boris von der amerikanischen Firma
Applied Concepts. Desweiteren wurden zwei weitere Schachcomputer mit
Namen Compuchess und Chess Champion MK I vorgestellt. Da konnte der
Schachcomputerpionier Fidelity natürlich nicht zurückstehen und
brachte die verbesserte Version des Chess Challenger 3 mit Namen Chess
Challenger 10 heraus. Diese wenigen kommerziellen und einige private
Programme trugen dann auch gleich das erste Turnier für
Mikroschachcomputer in San Jose aus, das von dem bis dato unbekannten
Programm Sargon gewonnen wurde ((das gleiche, das später auch auf der
Nordamerikanischen Meisterschaft den 5. Platz einnahm). Sargon war das
“Kind” des Ehepaares Spracklen aus Kalifornien. Es lief auf einem
Z80-Prozessor und hatte einen Umfang von nur 6 KB plus 2 KB als
Speicher. Später ist dieses Programm übrigens als Buch veröffentlicht
worden. Für jeden echten Sammler ein Muß! Im
zweiten Mikrocomputerturnier, dem Penrod Schachcomputer-Gedenkturnier,
in Santa Barbara 1978 belegte es immerhin den zweiten Platz hinter dem
Chess Challenger 10. Die Fachwelt und auch einige Kaufleute waren auf
die Spracklens aufmerksam geworden! Noch
einmal erwähnt werden soll auch, daß 1978 das Jahr war, in dem Chess
4,7 zum ersten Mal einen internationalen Meister in einer unter regulären
Turnierbedingungen gespielten Partie besiegte. Die Notation dieser für
den Kampf zwischen Mensch und Maschine exemplarischen Partie sei hier
nun angefügt: (20) Chess 4,7 - Levy (2320) [C40] [Wettkampf Toronto, 4.Partie, 03.09.1978] 1.e4 e5 2.Sf3 f5 (Levy war nach drei guten Partien mutig geworden und spielte Lettisch, was er noch bereuen sollte) 3.exf5 e4 4.Se5 Sf6 5.Sg4 d5 6.Sxf6+ Dxf6 7.Dh5+ Df7 8.Dxf7+ Kxf7 9.Sc3 c6 10.d3 exd3 11.Lxd3 Sd7 12.Lf4 Sc5 13.g4 Sxd3+ 14.cxd3 Lc5 15.0–0 h5 16.Sa4 Ld4 17.Le3 Le5 18.d4 Ld6 19.h3 b6 20.Tfe1 Ld7 21.Sc3 hxg4 22.hxg4 Th4 23.f3 Tah8 24.Kf1 Lg3 25.Te2 Lc8 26.Kg2 Ld6 27.Lg1 Th3 28.Tae1 Tg3+ 29.Kf2 Thh3 30.Te3 La6 31.Se2 Lxe2 32.T1xe2 c5 33.f4 Txe3 34.Txe3 Th4 35.Kg3 Th1 36.Lf2 Td1 37.Ta3 cxd4 38.Txa7+ Kf8 39.Td7 Td3+ 40.Kg2 Lc5 41.Txd5 Td2 42.b4 Lxb4 43.Td8+ Kf7 44.Td7+ Kf8 45.Txd4 Tb2 46.Kf3 Lc5 47.Td8+ Ke7 48.Lh4+ Kf7 49.g5 g6 50.Td7+ Kf8 51.fxg6 Txa2 52.f5 Ta3+ 53.Kg4 Ta4+ 54.Kh5 Td4 55.Tc7 1–0 Noch
eine historische Leistung aus diesem Jahr gibt es zu vermelden: GM
Walter Browne (Elo 2547) war wohl der erste GM, der gegen eine Maschine
den Kürzeren zog: In einem Simultanwettkampf am 6. Mai 1978 gegen 43
Spieler unterlag. Das Siegerprogramm war wieder einmal Chess 4.6 auf
einem Cyber 176. 20:
1979: DAS JAHR DER WETTEN: Für die Großrechnerprogramme war 1979 ein eher bedeutungsloses Jahr. Sieht man einmal von der Tatsache ab, daß Belle seinen Titel des Nordamerikanischen Meisters wieder an Chess, diesmal als Version 4,9, abgeben mußte. Der direkte Vergleich endete zwar Remis, aber Belle hatte bereits in der zweiten Runde gegen Chaos remisiert, während Chess 4,9 seine drei vorherigen Partien gewonnen hatte |