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Prinzipiell ist dieses Prinzip auf jede andere Stellung auch übertragbar: Denn auch positionelle Vorteile müssen sich irgendwann in materiellen umwandeln. Wen also ein “dummer” Computer viele Halbzüge tief rechnet und auf diese Weise an den positionell schlechten Züge vorbeischifft, so wird er eine genauso hohe Spielstärke erreichen, wie ein “geniales” Programm, das die schlechten Züge aus anderen Gesichtspunkten gar nicht erst erwägt!

Eigentlich logisch, stößt diese Erkenntnis jedoch vielen Schach-Anhängern auf, weil sie im Schach eine künstlerische und nur der menschlichen Phantasie zugängliche Tätigkeit sehen. Die Aussicht, daß ein Computer allein durch das Berechnen von vielen Millionen Varianten bis zur einer gewissen Tiefe, aber mit dem Schachwissen eines Anfängers einmal Weltmeisterstärke erreicht, paßt einfach nicht in das Weltbild dieser “Schach-Romantiker”.

Konkret ergab sich aus Thompsons Untersuchungen, daß eine Rechentiefe von etwa 10 Halbzügen bei Brute-Force-Programmen notwendig ist, um Großmeisterstärke (ungefähr 2500 ELO) )zu erreichen, zwei weitere Halbzüge sollte also für Weltmeisterstärke genügen! Wenn man allerdings bedenkt, daß für einen Halbzug Rechentiefe in gleicher Zeit eine 6-10x schnellere Rechnerleistung erforderlich ist, kann man ermessen, welche Schwierigkeiten vor der praktischen Überprüfung noch überwunden werden müssen!

Bis heute bestreiten allerdings nicht wenige, daß der Zusammenhang zwischen Rechentiefe und Spielstärke wirklich linear ist. Doch neuere Untersuchungen mit dem Schachrechner Deep Thought scheinen Thompsons Ergebnisse zu bestätigen, wobei allerdings in Rechnung zu stellen ist, daß auch die Programme selbst deutliche Fortschritte machten. Dazu kommen wir jedoch später noch, zunächst zurück zum ACM-Turnier 1978: Auf Platz 5 lief ein Programm ein, das später ebenfalls noch Karriere machen sollte: Sargon II. Bei Sargon handelte es sich um ein Mikrocomputerprogramm, dessen 2,5 Punkte aus vier Partien eine mittlere Sensation darstellten!

Andere Mikrocomputer machten unterdessen anderweitig Furore: Die käuflichen Schachcomputer erwiesen sich als Verkaufsschlager, so daß auch andere Firmen sich ein Stück von dem lukrativen Kuchen abschneiden wollten! Als sehr dekorativ und verhältnismäßig spielstark, aber auch recht teuer erwies sich zum Beispiel Boris von der amerikanischen Firma Applied Concepts. Desweiteren wurden zwei weitere Schachcomputer mit Namen Compuchess und Chess Champion MK I vorgestellt. Da konnte der Schachcomputerpionier Fidelity natürlich nicht zurückstehen und brachte die verbesserte Version des Chess Challenger 3 mit Namen Chess Challenger 10 heraus. Diese wenigen kommerziellen und einige private Programme trugen dann auch gleich das erste Turnier für Mikroschachcomputer in San Jose aus, das von dem bis dato unbekannten Programm Sargon gewonnen wurde ((das gleiche, das später auch auf der Nordamerikanischen Meisterschaft den 5. Platz einnahm). Sargon war das “Kind” des Ehepaares Spracklen aus Kalifornien. Es lief auf einem Z80-Prozessor und hatte einen Umfang von nur 6 KB plus 2 KB als Speicher. Später ist dieses Programm übrigens als Buch veröffentlicht worden. Für jeden echten Sammler ein Muß!

Im zweiten Mikrocomputerturnier, dem Penrod Schachcomputer-Gedenkturnier, in Santa Barbara 1978 belegte es immerhin den zweiten Platz hinter dem Chess Challenger 10. Die Fachwelt und auch einige Kaufleute waren auf die Spracklens aufmerksam geworden!

Noch einmal erwähnt werden soll auch, daß 1978 das Jahr war, in dem Chess 4,7 zum ersten Mal einen internationalen Meister in einer unter regulären Turnierbedingungen gespielten Partie besiegte. Die Notation dieser für den Kampf zwischen Mensch und Maschine exemplarischen Partie sei hier nun angefügt:

(20) Chess 4,7 - Levy (2320) [C40]

[Wettkampf Toronto, 4.Partie, 03.09.1978]

1.e4 e5 2.Sf3 f5 (Levy war nach drei guten Partien mutig geworden und spielte Lettisch, was er noch bereuen sollte) 3.exf5 e4 4.Se5 Sf6 5.Sg4 d5 6.Sxf6+ Dxf6 7.Dh5+ Df7 8.Dxf7+ Kxf7 9.Sc3 c6 10.d3 exd3 11.Lxd3 Sd7 12.Lf4 Sc5 13.g4 Sxd3+ 14.cxd3 Lc5 15.0–0 h5 16.Sa4 Ld4 17.Le3 Le5 18.d4 Ld6 19.h3 b6 20.Tfe1 Ld7 21.Sc3 hxg4 22.hxg4 Th4 23.f3 Tah8 24.Kf1 Lg3 25.Te2 Lc8 26.Kg2 Ld6 27.Lg1 Th3 28.Tae1 Tg3+ 29.Kf2 Thh3 30.Te3 La6 31.Se2 Lxe2 32.T1xe2 c5 33.f4 Txe3 34.Txe3 Th4 35.Kg3 Th1 36.Lf2 Td1 37.Ta3 cxd4 38.Txa7+ Kf8 39.Td7 Td3+ 40.Kg2 Lc5 41.Txd5 Td2 42.b4 Lxb4 43.Td8+ Kf7 44.Td7+ Kf8 45.Txd4 Tb2 46.Kf3 Lc5 47.Td8+ Ke7 48.Lh4+ Kf7 49.g5 g6 50.Td7+ Kf8 51.fxg6 Txa2 52.f5 Ta3+ 53.Kg4 Ta4+ 54.Kh5 Td4 55.Tc7 1–0

Noch eine historische Leistung aus diesem Jahr gibt es zu vermelden: GM Walter Browne (Elo 2547) war wohl der erste GM, der gegen eine Maschine den Kürzeren zog: In einem Simultanwettkampf am 6. Mai 1978 gegen 43 Spieler unterlag. Das Siegerprogramm war wieder einmal Chess 4.6 auf einem Cyber 176.

 

20: 1979: DAS JAHR DER WETTEN:

Für die Großrechnerprogramme war 1979 ein eher bedeutungsloses Jahr. Sieht man einmal von der Tatsache ab, daß Belle seinen Titel des Nordamerikanischen Meisters wieder an Chess, diesmal als Version 4,9, abgeben mußte. Der direkte Vergleich endete zwar Remis, aber Belle hatte bereits in der zweiten Runde gegen Chaos remisiert, während Chess 4,9 seine drei vorherigen Partien gewonnen hatte

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