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Schachprogrammes auf dem Papier durchgehen und die entstehenden Stellungen von Hand bewerten! Die Bewertungsfunktion trennte sich auf in eine Materialbewertung und einige positionelle Kriterien. Der König bekam einen Wert von 1000 Punkten, die Dame 10, der Turm 5, der Läufer 3,5, der Springer 3 und der Bauer schließlich 1 Punkt. Positionelle Kriterien waren zum Beispiel die Mobilität der Figuren oder die erfolgte bzw. nicht erfolgte Rochade des Königs. Äußerst fortschrittlich war auch, daß nicht grundsätzlich nur zwei Halbzüge vorausberechnet wurden, sondern daß auch vertieft wurde, wenn die Endstellungen nicht ‘tot’ waren, also kein direkter Abtausch oder Schach möglich war! Wie man sieht ist in allen modernen Schachprogrammen immer noch etwas von Turings “Urtyp”!

Turing kann aber auch noch für sich beanspruchen der erste frustrierte Computer-Programmierer gewesen zu sein! Denn Turing mußte schnell erkennen, daß sein Programm nicht immer die gewünschten Züge machte. Eine 1952 von seinem Programm “Turochamp” gespielte Partie gegen den damals 26jährigen Alick Glennie ist überliefert und zeigt die Grenzen des Programmes, das typische Computerunarten der Anfangszeit wie Materialüberbewertung, Planungsunvermögen und mangelnde Abgrenzung der einzelnen Spielphasen aufweist.

Interessant ist, daß diese erste Zug einen Vorteil von immerhin 4,2 Einheiten bekam, die sich folgendermaßen zusammen setzten:

 

               -Für die erhöhte Mobilität der Dame              : +2 

               -Für die erhöhte Läufermobilität                    : +2.2 

               -Für die erhöhte Mobilität des Springers       : +0.3 

               -Für den nichtrochierten König                      : -0.4 

               -Für den nicht mehr gedeckten Bauern          : +0.1 (+0.4-0.3)                                                                                                                                                                                                                = 4.2 Einheiten

 

Natürlich sind in dieser Rechnung nicht eventuelle Gegenzüge des Schwarzen enthalten. Bei Zugrundelegung der gleichen Kriterien würde die Stellung also mit 0.0 bewertet.

 

(1) Turochamp - Glennie [C26]

1.e4 e5 2.Sc3 Sf6 3.d4 Lb4 4.Sf3 d6 5.Ld2 Sc6 6.d5 Sd4 7.h4 Lg4 8.a4 Sxf3+ 9.gxf3 Lh5 10.Lb5+ c6 11.dxc6 0-0 12.cxb7 Tb8 13.La6 (-1,5!) Da5 14.De2 Sd7 15.Tg1 Sc5 16.Tg5 Lg6 17.Lb5 Sxb7 18.0-0-0 (3,7!) Sc5 19.Lc6 Tfc8 20.Ld5 Lxc3 21.Lxc3 Dxa4 22.Kd2 Se6 23.Tg4 (0.3) Sd4 24.Dd3 Sb5 25.Lb3 Da6 26.Lc4 Lh5 27.Tg3 Da4 28.Lxb5 Dxb5 29.Dxd6 ?? Td8 0–1

 

Während der Partie versuchte Turing immer den von seinem Programm gemachten Zug vorauszusehen, was aber zu so mancher Enttäuschung geführt haben dürfte! Nach diesen ernüchternden Erlebnissen mit Turochamp stellte Turing übrigens die These auf, daß es unmöglich sei, ein Programm zu entwickeln, das stärker spielt, als sein Entwickler. Eine Theorie, die wie wir heute wissen, glücklicherweise nicht richtig ist.

Erwähnenswert ist noch, daß etwa zu gleichen Zeit zwei Kollegen von Turing und Champernowne, Michie und Wylie, ebenfalls ein Papierprogramm entwarfen. Sein Name lautete Machiavelli.

 

3: 1949; GEWALTTÄTIG ODER INTELLIGENT?:

Bereits 1947 hatten Oskar Morgenstern und John von Neumann in ihrem Buch über Spieltheorien Probleme der Linearprogrammierung aufgegriffen. Sie behandelten einige Maximalisierungs-und Minimalisierungsanwendungen, die sich mathematisch nicht exakt lösen ließen und stießen dabei natürlich auch auf das Schachspiel. Sie faßten dabei das computergerecht zusammen, was jeder Schachspieler am Brett auch macht: Er macht den seiner Meinung nach besten Zug. Er maximiert also seine Gewinnaussichten. Der Gegenspieler wird natürlich versuchen diese Gewinnaussichten so gering wie möglich zu halten, er minimiert also den Wert dieser Züge.

Das Mini-Max-Prinzip wurde im praktischen Beispiel zum ersten Mal von Turing verwendet. Doch erst der Amerikaner Claude Shannon (*1916) dachte etwas weiter und beschrieb in zwei Aufsätzen vom 9. März 1949 und Mitte 1950 , wie das Mini-Max-Prinzip in Schachprogramme übertragen werden konnte.

Diese grundlegenden  Aufsätze  läuteten das moderne Computerschachzeitalter ein:

Shannon beschrieb in ihnen drei Programmtypen, die sich grundlegend in ihrer Konzeption unterschieden, denn es war (und ist!) nicht nur wichtig die Spielregeln zu kennen und anzuwenden sondern es ist grundlegend entscheidend, die guten von den schlechten Zügen zu trennen und die richtigen auszuwählen.

So stellte er als erster eine komplette Bewertungsfunktion auf, die schon die Kriterien Material, Beweglichkeit und einige weitere berücksichtigte. Wesentlich entscheidender war allerdings, daß Shannon sich um die Einbindung dieser Kriterien in ein Programm Gedanken machte, die wesentlich weiter gingen, als die Turings:

Sein Typ-A-Entwurf (auch “Brute-Force“-Programm genannt rechnete auf dem Papier stur alle Züge bis zur einer vorgegebenen Tiefe. Shannon sah eine Tiefe von zwei bis vier Zügen, also vier bis acht Halbzügen vor.

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