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Daß Chess 4,6 außerdem noch die ACM-Meisterschaft 1977 in Seattle gewann, verdient kaum eine Erwähnung, obwohl es diesmal in der vierten Runde einen halben Punkt gegen Duchess abgab. Chaos mußte sich diesmal mit dem dritten Platz begnügen.

Neuigkeiten gab es auch auf dem jungen Markt der Schach spielenden Mikrocomputer zu vermelden. Der Chess Challenger 1 wurde durch das deutlich verbesserte Nachfolgemodell, den Chess Challenger 3 ersetzt, der nunmehr drei Spielstufen hatte, die Regeln beherrschte (und auch kontrollierte!) und zum Segen für Europa auf der Berliner Funkausstellung 1977 zum ersten Mal dem europäischen Publikum vorgestellt wurde. Kurze Zeit darauf konnte man den Computer tatsächlich im Laden kaufen.

 

19: 1978: DER NEUE MAßSTAB: BELLE:

1978 wird endlich der erste Verband für die Schachcomputerintessierten gegründet, die International Computer Chess Association (ICCA). Als Präsident wird Benjamin Mittman erkoren. Das ACM-Turnier wird dieses Jahr in Washington D.C. gespielt und bedeutete das Ende der “Chess-Ära”, denn ein neuer Computer rückte sich bei diesem Turnier voll ins Rampenlicht, der vorher nur sporadisch aufgetreten war: Belle. Belle lag ein gänzlich neues Konzept zugrunde. Bislang waren die Schach spielenden Rechner nichts anderes als Computer, die zu diesem Zweck mit einem Schachprogramm gefüttert wurden. Das bedeutete, daß sie auch Schach spielen konnten, aber eben nicht ausschließlich. Diese mangelnde Spezialisierung kostete aber viel Rechenzeiten bei der Berechnung von Schachstellungen. Einen gänzlich anderen Weg ging da Belles geistiger Vater Ken Thompson. Der Erfinder der Computersprache C und des Betriebssystems UNIX ging den wesentlich schwierigeren Weg und konstruierte den entsprechenden Rechner gleich mit. Was schon in der Theorie gut klingt, erwies sich in der Praxis als überaus überzeugend: Zunächst schloß Thompson nur 25 Chips zusammen, was schon eine erhebliche Beschleunigung mit sich brachte. Die Version von 1978 besaß sogar schon 325 zusammengeschaltete Chips. Die Steuerung übernahm ein PDP-11-Prozessor, der in C programmiert war. Das Schachprogramm arbeitete nach der Brute-Force-Methode, war 90 KB lang, besaß 5 KB Datenspeicher und eine Eröffnungsbibliothek von 10.000 Halbzügen. Doch die Entwicklung an Belle ging weiter.

Wie überlegen Belle war, zeigt die Partie gegen Chess 4,7:

(18) Belle - Chess 4,7 [C10]

[ACM-Turnier Washington, 2.Runde, 3.12.1978]

1.e4 Sc6 2.d4 d5 3.Sc3 e6 4.Sf3 Lb4 5.e5 Sge7 6.Ld2 Sf5 7.Se2 Le7 8.c3 0–0 9.Sf4 f6 10.Ld3 fxe5 11.dxe5 g5 12.g4 Sg7 13.Sg2 b6 14.De2 Lb7 15.Tg1 a5 16.a4 Kh8 17.h3 Kg8 18.Th1 h6 19.h4 d4 20.hxg5 Sb4 21.gxh6 Sxd3+ 22.Dxd3 dxc3 23.Dg6 cxd2+ 24.Sxd2 Tf7 25.hxg7 Txg7 26.Dxe6+ Tf7 27.Dh6 Tg7 28.Dh8+ Kf7 29.e6+ Kxe6 30.Dxg7 Lxg2 31.Th6+ Kd7 32.0–0–0 Ld5 33.Se4 Kc8 34.Th8 Lxe4 35.Tdxd8+ Lxd8 36.De7 Kb7 37.Dxe4+ Ka7 38.Tg8 Tb8 39.g5 Le7 40.Txb8 Lxg5+ 41.f4 Lxf4+ 42.Dxf4 Kxb8 43.Kd2 Kb7 44.Kd3 Kc8 45.b4 axb4 46.Dxb4 Kd7 47.Db5+ Kd8 48.Ke4 1–0

Wenn auch Chess 4,7 hier Gewinnmöglichkeiten hatte, muß man doch von einem überzeugenden Sieg Belles reden, denn die anschließende Abwicklung mit dem Läufer-Opfer auf d2 zeugt von großem Spielvermögen!

Der Arbeitgeber von Ken Thompson, die Bell Telephone Laboratories, versprachen sich von Belle Aufschlüsse über die Programmierung anderer komplexer Anwendungen und auch Werbung, so daß Thompson im Gegensatz zu vielen anderen Schach-Programmierern unbeschwert und mit großen finanziellem Mitteln forschen und testen konnte.

So war Thompson einer der ersten, der auch wissenschaftliche Untersuchungen mit Schachrechnern anstellte. So ließ er beispielsweise verschiedene Versionen von Belle mit unterschiedlicher Rechentiefe gegeneinander spielen und stellte verblüffende Zusammenhänge von Rechentiefe und Spielstärke von Schachprogrammen fest: In seinen Untersuchungen war es ziemlich genau so, daß ein Halbzug Rechentiefe einem Spielstärkegewinn von etwa 200 ELO-Punkten entsprach. Weitere Untersuchungen ergaben, daß aber in einem gewissen Maße Rechentiefe durch Wissen austauschbar ist. Hierzu ein Beispiel:

 

 (19) DIAGRAMM 4: 

 wKe1,Pe2/bKe8

 

Diese einfache Stellung ist mit Weiß am Zug gewonnen, wenn der weiße König die Opposition behält. Ein Computer, der die Opposition kennt, braucht also gar nicht bis zur Umwandlung zu rechnen, um die richtigen Züge zu spielen. Es genügt, daß ihm bei der Programmierung eingegeben wurde, daß die Opposition zum Gewinn führt. Der Computer wird also immer die richtigen Züge spielen, weil diese zum Gewinn führen und alle anderen Züge eine geringere Bewertung aufweisen. Hier reicht also das Wissen um die gewonnene Stellung nicht noch zu einem Remis zu verderben.

Die andere Möglichkeit ist die, sämtliche Möglichkeiten aus der Grundstellung heraus bis zur Umwandlung des weißen Bauern zu berechnen. Auch in diesem Fall wird der Computer immer die richtigen Züge spielen, ohne jedoch den Grund für den Gewinn zu wissen. Aber auch hier wird also das optimale Ergebnis der Stellung erreicht.

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