Seite 1

SCHACHCOMPUTER

GESCHICHTE

von  Karsten Bauermeister

Zu allen Zeiten haben die Menschen das Schachspiel, das durch seine einfachen und klar definierten Regeln besticht, als das Paradebeispiel für eine Anwendung auf dem Computer angesehen. In der Theorie ist dies auch richtig, aber die unglaublich schnell anwachsende Zahl von Spielmöglichkeiten macht aus der exakten Wissenschaft ‘Schach’ eine unexakte und für Mensch wie Computer nur annäherungsweise lösbare Aufgabe. Die Geschichte der schachspielenden Maschinen begann allerdings schon lange vor dem Zeitalter der Informatik.

I: 1769; DER TÜRKE UND ANDERE SCHACHAUTOMATEN:

Der erste und wohl auch berühmteste Schachautomat der Welt war der Türke, der 1769 vom ungarischen Hofrat Wolfgang von Kempelen ((*1734, †1804) auf Wunsch der österreichischen Kaiserin Maria Theresia gebaut wurde. Der Name “Türke” kam von der in türkischen Gewändern gekleideten Figur in natürlicher Größe, die sich hinter einem Kasten von 110x75x675cm befand, der ansonsten wie ein Schreibtisch aussah. Auf diesem Kasten schließlich stand das wichtigste Utensil ,das Schachbrett. Ein Arm des Türken setzte die Figuren ähnlich wie ein Mensch, grundsätzlich begleitet von mechanischen Geräuschen wie Knarzen und Klacken. Im Innern konnten die Zuschauer vor den Vorführungen zahlreiche Zahnräder, Walzen, Schrauben und Gestänge bewundern, die aber nur dazu dienten, den Blick auf einen kleinwüchsigen Schachspieler zu verbergen! Heute ist bekannt, daß der französische Meister Mouret und so bekannte Meister wie der deutsche Theoretiker Johann Baptist Allgeier (*1763. †1823) und der Franzose Schlumberger den Türken zum Sieg führten. Die Illusion war so perfekt, daß zahlreiche namhafte Größen der damaligen Zeit wie zum Beispiel Josephs der II. oder Katharina die II. gegen den Türken zu einem Schachspiel antraten und fast immer verloren. Bekannt geworden ist zum Beispiel, daß Napoleon 1809 nach drei verlorenen Partien (vermutlich gegen Allgeier) seinem kaiserlichen Zorn freien Lauf ließ und die Figuren durch das Zimmer warf. Ein weiterer auch heute noch bekannter Zeitgenosse, der sich intensiv um die Enträtselung des Geheimnisses des Schachautomaten bemühte war zum Beispiel der amerikanische Schriftsteller Edgar Allen Poe, der die folgende bis in die heutige Zeit beachtenswerte These aufstellte: “Ist das Princip erst einmal entdeckt, nach welchem man eine Maschine dazu bringen kann, Schach zu spielen, so bedarf’s blos einer Erweiterung solchen Principes, sie das Spiel auch gewinnen, und einer neuerlichen Erweiterung, sie jedes Spiel gewinnen zu lassen, will sagen sie in den Stand zu setzen, jedweden Gegenspieler zu schlagen.” Diese These könnte auch in der heutigen Zeit durchaus noch vertretbaren werden! Sind sich doch die Theoretiker heute ziemlich einig, daß der eingeschlagene Weg der immer schnelleren Rechner nur weiter gegangen werden muß, um tatsächlich einmal den menschlichen Weltmeister vom Thron zu stoßen. Poe übersah jedoch, daß es praktische Hindernisse geben kann, die die Erreichung des höchsten Zieles zumindest verzögern können, so wie heute die zum Erreichen der Weltmeisterstärke nötige Rechenpower (noch nicht) erzielt wurde! Sein Resümee aus den gelegentlichen Mißerfolgen der Maschine war demzufolge, daß für die Züge des Türken ein Mensch verantwortlich sein mußte!

Leider wurde die Maschine 1854 im Chinesischen Museum in Philadelphia durch ein Feuer zerstört, was aber ihren Mythos nur noch vergrößerte!

Natürlich lieferte der Türke keine einer Maschine zurechenbare schachliche Leistung, aber dennoch ist er schon aufgrund der allein auf das königliche Schachspiel zugeschnittenen Mechanik so etwas wie der Urvater aller heutigen Schachrechner und lebt unter anderem in dem Ausdruck “ein Ergebnis türken” auf der Schachebene fort.

Keiner vermag zu sagen, wie viele weitere Schachautomaten sonst noch den genialen Köpfen der Automatenbauer des vorherigen Jahrhunderts entsprungen sind. Zu einigem Ruhm sind aber mindestens noch zwei gelangt: Da war zunächst einmal Ajeeb, der 1869 von dem Engländer Charles Alfred Hooper konstruiert wurde und unter dessen Aufbau sich unter anderem der amerikanische Meister Harry Nelson Pillsbury (*1872 †1939) versteckte. Doch auch dieser Automat fiel einer Brandkatastrophe zum Opfer. Auf einer Tournee durch die Vereinigten Staaten verbrannte das Gerät 1929 auf Conny Island. Nicht 1980 erschien der erste Mephisto, sondern schon 1876! Der Engländer C.C. Gumpel baute einen weiteren Schachautomaten, der 1878 sogar ein Turnier in London gewann. Für diesen schachlichen Erfolg zeichnete sich diesmal der ungarische Meister Isidor Gunsberg verantwortlich.

Alle diese Automaten sind aus historischer Sicht also weniger wegen ihrer schachlichen Leistungen zu rühmen, sondern viel mehr wegen der herausragenden Leistungen ihrer Erbauer auf dem Gebiet des Automatenbaus. So gilt der Türke zum Beispiel als eine bahnbrechende Pioniertat auf dem Gebiet der Akustik: Konnte er doch menschenähnlich etwa 30 Worte artikulieren!

Und wie man sieht, war schon damals der Erfolg der Schachrechner weitgehendst von den im Verborgenen stehenden Männern beeinflußt, worin sie den heutigen Rechnern doch sehr ähneln.

 

II: 1840; ERSTE THEORIE...:

Bereits 1840 verschwendet der englische Mathematiker C. Babbage einige Gedanken daran, wie er seine Analytic Engine, eine Art mechanischer Vorläufer des modernen Computers, der allerdings nie realisiert wurde, zum Schachspielen verwenden konnte. In der Theorie konstruierte er eine Rechenanlage, die den heutigen Computern

                              Seite 1                                 

Zurück zur Hauptseite