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Der Mephisto Amsterdam deklassierte die Gegnerschaft in Amsterdam mit drei Mephistos auf den ersten Plätzen und war wirklich den anderen Spitzenprogrammen in allen Belangen überlegen oder wenigstens nicht deutlich unterlegen! Der Spielstärkeunterschied machte über 100 ELO-Punkte aus, im Computerschach fast ein Quantensprung! Hier eine kleine Kostprobe:

(27) Novag Expert - Mephisto Amsterdam [C19]

[Mikro WM Amsterdam, 1985]

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Dc7 7.Sf3 Se7 8.Dd2 b6 (Bis hierher spielten beide Rechner aus der Eroeffnungsbibliothek) 9.Ld3 0–0 10.0–0 Sbc6 11.Sg5 (Ein klaeglicher Versuch des Weissen, etwas Angriff zu erlangen) 11...h6 12.Sf3 Lb7 13.De1 c4 14.Le2 f6 15.exf6 Txf6 16.Tb1 Sg6 17.Ld2 e5 18.dxe5 Scxe5 19.Sd4 Taf8 20.Lh5 Lc8 21.Lxg6 Sxg6 22.Tb4 Ld7 23.De2 Te8 24.Dh5 Te5 25.Dd1 Dc5 26.Dc1 De7 27.h3 Te4 28.Te1 a5 29.Txe4 Dxe4 30.Tb2 Sh4 31.f3 Dg6 32.Df1 Lxh3 33.Df2 Lxg2 34.f4 Dg4 35.De1 Dh3 36.De2 Lf3 37.Sxf3 Sxf3+ 38.Kf2 0–1

 

Weiß wartet praktisch seine Exekution ab. Man könnte meinen, Schwarz spielt gegen einen Billig-Computer der ersten Generation. Aber weit gefehlt, der Expert war 1985 das Spitzengerät von Novag!

Nur zwei Dinge wurden wirklich bemängelt: Zum einen der fehlende Spielstandspeicher und zum anderen der Preis von ungefähr 3000,- DM im Exclusivebrett! Einzig Fidelity hatte etwas entgegen zu setzen, was aber in Europa aufgrund des gestiegenen Dollarkurses und der Marktbeherrschung von Mephisto kaum wahrgenommen wurde. Ein neues Programm, das von der Firma Elite XC genannt wurde, gewann die offene amerikanische Computermeisterschaft (nicht zu verwechseln mit der Nordamerikanischen Meisterschaft!) in Mobile/Alabama. Es war das erste Mal, daß ein Mikro ein bedeutendes Turnier, in dem auch Großrechner teilnahmen, gewinnen konnte! Dieses Programm wurde dann in das Nachfolgegerät des Elite, den Avantgarde, eingebaut und setzte Maßstäbe vor allem im Kombinationsspiel. Aber auch dieser Computer konnte dem Amsterdam nicht ganz das Wasser reichen! Auch beim ACM-Turnier 1985 in Denver gab es einen Newcomer, der gleich groß einschlug und durch den ersten Platz und seinen Sieg gegen Cray Blitz schlagartig von sich reden machte: Hightech. Hinter diesem Namen verbarg sich ein Spezialrechner ähnlich Belle, der unter der Leitung von Prof. Hans Berliner, einem ehemaligen Fernschachweltmeister, an der Carnegie-Mellon-Universität entwickelt wurde. Im Gegensatz zu Belle verdrahtete Berliner aber nicht etwa 1700 Chips, sondern nur 64 VLSI-Chips. VLSI steht für Very Large Scale Integration, oder auf Deutsch: äußerst hohe Integrationsdichte. Durch diese Chips wurde Hightech in die Lage versetzt, bis zu 200.000 Stellungen zu erzeugen. Die Bewertung übernahm eine getrennte Hardware- Einheit. Bereits vor dem Turnier hatte Hightech seine Spielstärke in 21 Partien gegen Menschen unter Beweis gestellt und dort ein Rating von 2233 ELO- Punkten erreicht. Mithin die höchste Bewertung, die je zuvor ein Schachcomputer erlangt hatte. Hier seine Partie gegen den späteren Zweitplatzierten Bebe:

(28) Bebe - Hightech [C78]

[ACM-Turnier Denver 3.Runde. 14.10.1985 ]

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 b5 6.Lb3 Lb7 7.Te1 Lc5 8.c3 d6 9.d4 Lb6 10.a4 h5 11.axb5 axb5 12.Txa8 Dxa8 13.Sa3 exd4 14.cxd4 La6 15.e5 dxe5 16.dxe5 Sg4 17.Lxf7+ (Ein Mogelversuch)

17...Ke7 18.Kf1 b4+ 19.Sc4 Td8 20.Dc2 Kxf7 21.Df5+ Sf6 22.Dc2 b3 23.De2 Sd4 24.Sxd4 Txd4 25.Kg1 Lxc4 26.Df3 Dxf3 27.gxf3 0–1

Durch den Sieg bei der Nordamerikanischen Meisterschaft war Hightech natürlich auch heißer Favorit für die fünfte Computer-Weltmeisterschaft 1986 in Köln!

Einen ganz anderen Weg im Computerschach beschritt hingegen Hans Zellner, Programmierer aus München, den das perfekte Endspiel, das Belle gegen Browne exerziert hatte, faszinierte. Zellner beschloß daraufhin auf einem Commodore 64 ebenfalls ein perfektes Endspiel zu programmieren. Angesichts des für heutige Verhältnisse steinzeitlichen Speichers von nur 64 Kilobyte, eine nicht hoch genug anzurechnende Leistung! Wenig später wurde der Welt sein Programm vorgestellt, das das Endspiel König + Turm gegen König perfekt beherrschte! 1986 stellte er weitere Endspiele (König+Dame gegen König sowie König+Bauer gegen König) vor und große Ehre wurde ihm zuteil, indem sogar die Herausgeber der Endspielenzyklopädie sich nicht trauten Analysen zu veröffentlichen ohne vorher seine Programme befragt zu haben!

Aber auch Belle-Autor Ken Thompson hatte in der Zwischenzeit weitere Endspiele untersucht. Das erstaunlichste Ergebnis lieferte dabei wohl seine Analyse des Endspieles König+zwei Läufer gegen König+Springer. In der Theorie wurde dieses Endspiel als zwingend Remis erachtet, doch Thompson wies nach, daß dieses Endspiel gewonnen war und zwar in maximal 66 Zügen! Das größte Problem dabei ist die 50-Züge-Remis-Regel. Aufgrund dieser Regel könnte ein Spieler mit dem Springer in einer Maximalstellung theoretisch Remis reklamieren, da sein Gegner nicht mehr innerhalb der 50 Züge gewinnen kann! Aufgrund dieser Ergebnisse sah sich der Weltschachverband FIDE später gezwungen für einige Endspiele die maximale Zügezahl auf 75 Züge zu revidieren! Ein enormer Erfolg für das Computerschach. Eigentlich hätte Thompson einen weiteren Preis aus dem Fredkin-Font verdient!

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